Böhmischer Granat: vom Edelsteinschleifer-Handwerk bis zum Schmuck
Auf Ihren Ausflügen werden Sie über Edelsteine zwar nicht stolpern, doch es existieren immer noch Orte, wo diese entdeckt werden können. Oder Sie besuchen eine der lokalen Schleifereien, wo Sie Ihr ganz persönliches Schmuckstück kreieren. In den Museen und Galerien gilt es hingegen, die faszinierenden Kunstwerke hiesiger Schmuckhersteller und Edelsteinschleifer zu bewundern.
Die hohe Dichte der Glas-, Schmuck- und Edelsteinmanufakturen im Norden Böhmens sucht weltweit ihresgleichen. Fast schon unglaublich, aber die ältesten bearbeiteten Edelsteine stammen aus einer Zeit vor rund sechstausend Jahren, wobei das Handwerk der Edelsteinschleifer vielerorts im Böhmischen Paradies bis heute lebendig geblieben ist. Das Edelsteinschleifer-Handwerk umfasst jedoch nicht nur die Bearbeitung der immer seltener zu findenden Edelsteine, sondern auch das Schleifen der aus farbigem Glas hergestellten Nachbildungen.

Aus der Geschichte des berühmten Handwerks

Kannten auch schon die Prospektoren im Dienste Kaiser Karl IV. die später so berühmten Edelsteinfundorte? Das lässt sich nicht mehr mit Sicherheit sagen, wobei aus Turnov mehrere Prospektoren des Kaisers Rudolf II. stammten, der sein Vorkaufsrecht auf Granate von ungewöhnlicher Größe geltend machte. Ab dem Jahr 1700 wurden Böhmische Granate in Schmuckwerkstätten immer gefragter, und zwecks der Wahrung der hohen Qualität dieses Handwerks wurde 1715 die Edelsteinschleifer-Bruderschaft „Confraternita der freien Kunst der Steinschneider“ gegründet. Damals verbreitete sich in der Region rund um Turnov auch die Technik des Schleifens sog. Strasssteine. Die strenger Geheimhaltung unterliegende Herstellung von farbigem Strass lernten die Gebrüder Fischer angeblich von Glasmachern in Venedig, wobei die Strasssteine das Fundament der Bijouterie-Herstellung in Jablonec nad Nisou legten.

Im 18. Jahrhundert waren Böhmische Granate so begehrt, dass Maria Theresia 1762 ein Ausfuhrverbot auf Böhmische Granate aus dem Kaiserreich verhängte, um das eigene Monopol für den Abbau und die Bearbeitung von Granaten zu schützen.

Die Glasherstellung wanderte in den Norden ins Isergebirge, wobei sich die Edelsteinschleifer in Turnov im Verlauf des 19. Jahrhunderts schrittweise auf das Schleifen von Böhmischen Granaten spezialisierten. Die wurden, ähnlich wie die Strassimitate, erfolgreich in die ganze Welt exportiert, vornehmlich nach Frankreich, Spanien, Russland, Italien und in den Orient. Um das traditionelle Handwerk zu erhalten und neue Meister im Bereich der Edelsteinbearbeitung auszubilden, wurde 1884 die heutige Kunstgewerbe-Fachmittelschule gegründet. In den schuleigenen Werkstätten werden junge Menschen zu geschickten Schleifern und Schmuckherstellern ausgebildet.

Im Jahr 1886 wurde in Turnov ein Museum mit einer eigenen Fachabteilung für Edelsteine und Schmuck eröffnet. 

Nationales Kulturgut namens Böhmischer Granat

Dem Böhmischen Granat kommt die Rolle des „Familiensilbers“, Nationalsteins und mineralogischen Symbols des Königreichs Böhmen zu. Hinter der Fachbezeichnung Pyrop steckt ein feuerrotes, durchsichtiges Mineral, das farb-, hitze- und säurebeständig ist. Es stammt aus der jüngsten geologischen Ära, dem Quartär, und misst vor der Bearbeitung meist bis zu acht Millimeter, nach dem Schleifen dann rund vier Millimeter.

Es existiert eine ganze Gruppe von Granaten, die sich je nach chemischer Zusammensetzung durch Farbe und Härtegrad unterscheiden. Sie sind durchsichtig oder lichtdurchlässig, undurchsichtig oder matt und die Farbskala bewegt sich von rosa über orange, rot, bräunlich oder violett bis fast schwarz, wobei auch grüne und blaue Granate vorkommen. Böhmischen Granaten am ähnlichsten sind Almandine und Rhodolite, die in Afrika, Brasilien, Indien, Norwegen, auf Sri Lanka und in den USA abgebaut werden. Doch im Vergleich zu den Böhmischen Granaten sind sie aufgrund der ergiebigeren Abbaugebiete rund zehnmal günstiger.
 

Museen, Berge und Lehrpfade

Böhmische Granate kommen hauptsächlich im Böhmischen Mittelgebirge, seltener dann im Vorgebirgsland des Riesengebirges und rund um die Stadt Kolín vor. Wobei es in Tschechien Hunderte von kleineren Pyrop-Fundstätten gibt. Zu den berühmtesten gehört der Berg Kozákov, um den sich unzählige Sagen rund um Edelsteine ranken: Eine davon erzählt von einem Hirten, der nach einer entlaufenen Kuh mit einem Stein warf, der wertvoller als das Tier war.

Auf dem Gipfel steht die Riegerbaude mit Aussichtsturm, von der sich bei schönem Wetter ein Rundumblick auf Riesengebirge, Isergebirge, Bergrücken des Jeschken, Lausitzer Gebirge, Böhmisches Mittelgebirge, Böhmisches Paradies und Adlergebirge eröffnet. Berühmt ist auch der Steinbruch Votrubcův lom am Südhang, wo einst Edelsteine abgebaut wurden. Unweit davon befindet sich das Edelsteinmuseum. Mit der erworbenen Eintrittskarte können Sie sich auch in den Steinbruch aufmachen, um selbst nach Edelsteinen zu suchen.

Edelsteine und deren Bearbeitung thematisiert auch das Museum des Böhmischen Paradieses in Turnov, wo neben der geologisch-mineralogischen Ausstellung auch die „Schatzkammer“-Ausstellung mit Schmuckstücken, Gefäßen aus Edelsteinen und zur Bearbeitung geeigneten Natursteinen, in Treibarbeit hergestellten Gegenstände aus Silber aus den Jahren 1891–1954 sowie moderne Kunstwerke, die im Rahmen von Internationalen Schmuckhersteller-Symposien entstehen, zu besichtigen ist. Das Museum bietet auch einen Spielbereich und den interaktiven Stein-Lehprad, ein Spiel, das Sie von Ausstellung zu Ausstellung führt und die Besucher über die Entstehung der Edelsteine und deren Bearbeitung bis zur Umwandlung in ein Schmuckstück informiert. Auch das Steinschneidehaus, ein Nachbau eines Fachwerkshauses der Zeit der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, bietet detaillierte Einblicke in die Bearbeitung von Edelsteinen, Goldschmiedekunst und Schmuckherstellung.

Zu den weiteren Highlights gehört der Edelsteinschleifer-Lehrpfad mit Infotafeln zum Edelsteinschleifer- und Schmuckhersteller-Handwerk in Turnov, die farblich an die Böhmischen Granate erinnern und Ihnen die attraktivsten Orte in der Stadt präsentieren. Den zugehörigen Flyer mit Karte erhalten Sie im Informationszentrum. Das Steinschleifen und eine Exkursion in die Granatschmuck-Produktion bieten die Schleiferei Gema und auch Granát – Genossenschaft für angewandte Kunst in Turnov. Diese entstand durch Zusammenschluss mehrerer kleiner Goldschmiedewerkstätten. Die Genossenschaft besitzt einen Stollen für den Abbau Böhmischer Granate und natürlich auch die Abbaurechte.